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Nebelleben
Der Weg war
steinig, fünfzig Meilen Waldweg, gemessen ab dem Abzweig vom Highway. Die letzte Tankstelle lag siebzig Meilen zurück. Tankstelle, Laden, Post, Apotheke. Und Flugplatz, Kanada eben. Wir kamen nur
langsam voran. Einmal begegnete uns ein Holzlaster, sonst nichts. Nur ein einsames Schild, das uns den Weg wies.
Nichts, und doch alles. Wald, Wald Wald. Und Nebel. An der Tankstelle hatten wir erfahren, dass es in den letzten Tagen ergiebig geregnet hatte. Großen Pfützen auf dem
Weg mussten wir ausweichen, langsam, um nicht zu versinken. Alles, bloß keine Panne.
Die Rauchsäule sahen wir schon von Weitem. Der Vermieter hatte uns versprochen, einzuheizen und für Vorräte zu sorgen. Das Rundrum-Sorglos-Paket in der
Wildnis. Hatten wir uns darauf verlassen? Wir kannten mittlerweile die nordamerikanische Küche und hatten deshalb unterwegs etwas Gesundes eingekauft. Äpfel, Birnen, Bananen. Dazu noch
Schokolade, Bier und Cola. Als Notration drei Flaschen Whisky, sicher ist sicher.
Wir waren froh, endlich aussteigen zu dürfen nach der langen Schaukelei. Und wir hatten Hunger und Durst. Der dichte Nebel war gestiegen und schwebte nun in
Form einer undurchdringlichen Wolkenschicht über uns. Die feuchte, würzige Luft tat uns beiden gut. Der Rauch des Holzfeuers tat ein übriges, um in uns ein heimeliges, gewöhntes Gefühl zu
erzeugen. Wir waren zu Hause. Wir hörten nichts und doch alles. Das Rauschen der Baumwipfel, das Zwitschern der Vögel, und wir hörten uns.
Die Hütte war angenehm warm. An Vorräten fanden wir Unmengen von weißem
Toastbrot, Dosenfleisch. Burger eingeschweißt. Lecker. Gut war, dass wir mit der Hütte das Fischereirecht am See quasi mitgemietet hatten, was wir ausgiebig
in Anspruch nehmen wollten.
Zum Abendessen brieten wir ein kräftiges Steak und kochten uns Spaghetti mit Tomatensoße dazu. Danach gab es Äpfel und Birnen. Salat hatten wir keinen
bekommen im kleinen Laden neben der Tankstelle. Im Herd bullerte das Feuer. Der Blick durch die Fenster verriet uns eine in tiefes Abendblau getauchte Natur. Berge, Wälder. Und Nebel. Ich verließ
die wohlige Wärme der Hütte und die Zweisamkeit und ging mit zwei Dosen Bier nach draußen in die Einsamkeit.
Der Nebel hatte sich wieder gesenkt. Das Herbstlaub raschelte unter meinen Füßen, als ich zum See lief. Fast vollkommene Dunkelheit umgab mich. Durch die
Wolkenschicht war weder der Mond noch irgend ein Stern zu sehen.
Das Bier schmeckte schal, alt. Ich goss die angebrochene Dose aus und lauschte erneut der Stille. Sie war ohrenbetäubend, diese Ruhe. Der leichte Wind ließ
die Baumwipfel rauschen und ich spürte, wie Blätter auf meinen Kopf fielen. Und atmete den Nebel ein, der mich umgab. Das Licht der Hütte konnte ich kaum erkennen. Würde sie schon schlafen? Ich
wusste es nicht und begab mich auf den Heimweg. Ich griff zum Whisky.
Sie lag nackt auf den Fellen vor dem Ofen. Schlief sie oder schlief sie nicht? Ich betrachtete sie, nahm nochmal vom Whisky, zog mich dann aus und legte mich
neben sie.
Der Sex war fantastisch, surreal, ekstatisch. Zwei verliebte Seelen inmitten der kanadischen Einsamkeit in der Nähe des Yukon River. Wir rollten über den
Bretterboden, die Felle, ohne es zu merken. Wir liebten uns immer wieder. Wie im Traum. Nur sie und ich, zu zweit vereint. Und am Ende schliefen wir ein.
Der kanadische Morgen empfing mich mit einem ausgiebigen Aufenthalt in der Sauna. Innere Wärme, äußere Wärme, schwüle Hitze. Wir liebten uns wieder. Wars die
Wärme, die die Gier erzeugte? Ich weiß es nicht mehr.
Ermattet und erhitzt liefen wir nackt, wie wir waren, auf eine nahe Lichtung und legten uns ins Gras. Die Wassertropfen des Nebels kondensierten an unseren
warmen Körpern, wurden Rinnsale, die zu Boden liefen und in dieser Bewegung auf der Haut kitzelten. Wir legten uns nebeneinander ins taufeuchte Gras und blickten in die grauen Nebelwolken,
merkten die Frische kaum, die die morgendliche Stunde uns bot. Und wieder diese ohrenbetäubende Stille der nebligen Luft.
Ich stützte mich auf, genau wie sie und wir küssten uns abermals. Nebelfeuchte Lippen berührten sich, die Zungen leckten einander, ich trank den Tau von ihrer Wange, hauchte ihr ein
zärtliches „Ich liebe dich!“ ins Ohr. Spinnweben klebte schließlich auf meinen Lippen, es störte mich nicht. Der würzige Duft des Waldes umspielte unsere Nasen, wir saugten die taufeuchte
Nebelluft in uns auf. Und wir liebten uns wieder und wieder in den unendlichen Weiten Kanadas.